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Dorfpensionen in Trogen

Um die vielen auswärtigen Zöglinge der Kanti unterzubringen, entstanden von Beginn an etliche Unterkünfte in Trogen. Diese Pensionen wurden von Familien sowie auch von Lehrpersonen der Kantonsschule geführt und bildeten einen wichtigen Zusammenhalt zwischen den Pensionären und den Bewohnern.

Es waren allerdings mehrheitlich Knaben, welche in den Pensionen untergebracht wurden, da Mädchen noch lange eine Minderheit am Gymnasium bildeten; deren Anteil nahm dabei im Laufe der Jahrzehnte stetig zu: War zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum ein Mädchen in einer Klasse, so lag der Anteil 1930 bereits bei 16% und im Jahre 2020 hatte das weibliche Geschlecht mit einem Anteil von 58% die Knaben überholt. Doch zurück zu den Unterkünften…

Die Ära der Konvikte und Pensionen ging unter Rektor Ernst Kuhn (1971–1985) zu Ende, als Trogen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch neu ausgebaute Verkehrsverbindungen (z. B. Postautokurs Herisau – Trogen, 1974) immer besser erreichbar wurde und auch die Zahl der ausserkantonalen Schüler, infolge neuer Kantonsschulen, stark zurückging. Diejenigen Schüler, welche ehemals am Schulort logierten, fehlten oder kehrten nun nach Schulschluss nach Hause zurück. War die KST zuvor eine Art Internatsschule mit sehr vielen von auswärts kommenden Schülern gewesen, welche in Lehrer- und Privatpensionen oder im Konvikt wohnten, so entwickelte sie sich zur «Mittelschule der Ausserrhoder». Eine weitere Auswirkung war schliesslich, dass die frühere Identifikation mit dem Schulort Trogen durch die neuen Tagespendler nicht mehr im gleichen Masse stattfand.

Warum war die Kanti in Trogen attraktiv für auswärtige Schüler?

Bis in die 1960er-Jahre kamen nur etwa ein Drittel der Schüler aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden, was in der schweizerischen Mittelschullandschaft als Kuriosum bezeichnet werden kann. Zu den ausserkantonalen Einzugsgebieten zählten Kantone aus der ganzen Schweiz, dem Ausland und allen Erdteilen, da die KST schon früh den Ruf hatte, eine vorbildliche Schule zu sein. So schrieb bereits Pfarrer Alfred Altherr 1882 über den verstorbenen Rektor Schoch und das Gymnasium in Trogen: «Ich weiss manches Elternhaus diesseits und jenseits des Ozeans und der Alpen, das nie bereuen wird, ihm den Sohn, sehr häufig ein Sorgenkind der Familie, anvertraut zu haben, denn über der Thür seiner Erziehungsanstalt durfte das Wort stehen, das ich in Arbon über der Hausthür eines Arztes las: Hier wird man gesund!»[1] Und noch im Jahre 1966 bestätigte die Aussage einer Bäuerin die Bedeutung der Kanti: «Ja, das ist eine ganz berühmte Schule, da schicken die reichen Leute aus der ganzen Welt ihre Kinder hin.»[2] Die Hauptgründe für das hohe Ansehen der KST waren vor allem:

  • Die Schüler lebten fernab vom städtischen Treiben mit seinen Ablenkungen
  • Die ländliche Umgebung und Höhenluft von Trogen wurde als gesundheitsförderlich angesehen. «Wir haben eben gar viele junge Leute aus allen Gegenden der Schweiz, bei denen der Hausarzt für Trogen votierte.» (Rektor Wildi in einem Brief an den Schulleiter der Zürcher Handelsschule)[3]
  • Die KST war bis Ende der 1970er-Jahre vor allem eine Internatsschule, was bedeutete, dass die Schüler rund um die Uhr betreut, nacherzogen und kontrolliert wurden (nach der Schule im Konvikt oder einer Dorfpension). «Eine grosse Zahl der Eltern, die ihre Kinder nach Trogen schicken, suchen hier eben nicht nur einen rechten Unterricht, sondern Erziehung. Dass diese in Trogen gefunden werden kann, anerkennt der ausserordentlich kritische Alt-Rektor Dr. Fiedler in Zürich, der beste Kenner der schweizerischen Mittelschulen, der in einem der letzten Hefte der Körpererziehung Trogen als die in der Erziehung führende Schule in der Schweiz nennt (neben Biel). Ich darf aus genauer Einsicht in die tatsächlichen Verhältnisse sagen, dass diese Einschätzung sehr wesentlich durch das staatliche Konvikt und die Pensionen der Kantonsschullehrer bedingt ist.» (Rektor Wildi in einem Brief an die Kantonsschulkommission)[4]
  • In der freien Zeit fanden gemeinsame Aktivitäten durch ein reges Vereinsleben statt (im 20. Jahrhundert existierten rund 20 Schülervereine an der KST)
  • Die KST war eine kleine Schule und bot damit in den Augen der meisten Eltern eine persönlichere Betreuung
  • Durch das Kadettenkorps Trogen wurde unter anderem auch die Disziplin geschult
  • Die KST war bekannt dafür, auch schwierige Schüler aufzunehmen, welche an anderen Orten gescheitert waren
  • Insgesamt entstand durch diese Lebensweise unter den Schülern eine intensive Kameradschaft und hohe Identifikation mit der Schule und der Ortschaft. Dieser prägende Faktor liess die Ehemaligen Jahre später erneut ihre Söhne und Töchter an die Kantonsschule nach Trogen schicken

Aus dem Oral-History-Archiv (Teil 1)

Elisabeth Pletscher (*1908; †2003) war von  1921 bis 1928 Schülerin  an der Kanti. Im Jahre 2001 erinnerte sie sich in einem Tonband-Interview an die Ära der Dorfpensionen zurück.

Karte der Trogener Pensionate im 20. Jahrhundert

Zur Illustration der Lage der Pensionen haben Dorothea Altherr-Sturzenegger und Franziska Müller in den KVT-Mitteilungen Nr. 74 (1994/95) einen Situationsplan des Dorfes erstellt, auf dem die Pensionen in der Reihenfolge der Haus­nummern aufgeführt sind. Dabei haben sie sich auf jene Pensionen beschränkt, die über längere Zeit mehrere Schülerinnen und Schüler beherbergten. Die Pensionen sind zwar unter dem Namen ihrer Inhaber aufgeführt, dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die grosse Arbeit, welche die Führung einer Pension mit sich brachte, von den Ehefrauen und ihren Angestellten geleistet wurde. Zudem boten Familien, diversen Pendlern über Mit­tag ein warmes Essen an.

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Erinnerungen eines Pensionärs

Die Pension von Ernst Wildi und seiner Frau Bertha lag 260 Meter nordöstlich der Kantonsschule. Hans Bänziger lebte in den 1930er-Jahren vier Jahre in der Pension, und sein Bericht aus dieser Zeit zeigt, dass für den Rektor Unterricht und Erziehung auch nach der Schule Vorrang hatten: «Das Ehepaar Wildi beeindruckte mich gerade aufgrund seiner Verschiedenartigkeit. […] In Frau Wildi liebten wir den aussergewöhnlichen mütterlichen Charme. Dass sie auch Nichtpensionären stets gerne half, erfuhren wir natürlich erst viel später. Im Hause herrschte altmodische Disziplin. Ich kann einige Szenen handgreiflicher Strafpraxis durch den Kadi [Wildi] nicht vergessen. In einem Fall musste ein kluges, faules Bürschchen sogar erfahren, dass Wildis Bergschuhe nicht weich waren. Diese kleine Reminiszenz sei hier nur notiert, um nicht den Eindruck zu wecken, ich sehe den Rektor in der Erinnerung allzu verklärt. Während des Essens erlebten wir Vor- und Nachteile einer strikten Rangordnung. Am oberen Platz der hufeisenförmig angeordneten drei Tische sass der Hausherr, neben sich die Maturanden, am unteren Frau Rektor bei den Jüngsten. Auf Tischmanieren wurde nicht pedantisch geachtet; einzig die Schlussparole ‹Tisch ist aufgehoben› mochte Assoziationen mit Militär oder Kommersritualen aufkommen lassen. […] Als Neuankömmling und Drittklässler sass ich zuerst irgendwo in der Mitte und konnte voll Respekt die Älteren betrachten. […] In meiner Nähe sass Ueli Prager, dessen Unwillen ich eine Zeitlang erregt hatte, weil mein eifriges Cellospiel für ihn offenbar kein Ohrenschmaus war. Auf dem Weg zu unserem Aussenquartier (später, als wir Älteren bei Altherrs und Kriemlers auslogiert waren) klärte er mich trotzdem einmal auf, dass es sich lohne, den frivolen Roman eines gewissen D. H. Lawrence ‹Lady Chatterley’s Lover› zu lesen. […] Das Fazit für mich und wohl die meisten Mitpensionäre: Während der Jahre im Pensionat haben wir fürs Leben – die abgedroschene Wendung ist leider kaum ersetzbar – wohl mehr gelernt als im Schulbetrieb.»[5]

Aus dem Oral-History-Archiv (Teil 2)

Hans Ess (*1923; †2021) war von 1951 bis 1988 Lehrer (u.a. auch Prorektor) an der Kanti und führte mit seiner Gattin während 22 Jahren eine Dorfpension: Von 1958 – 1968 im Oberdorf Nr. 43 und von 1968 – 1980 im Berg 140. Jahrzehnte später erzählte Ess für den Dokumentarfilm «Menschen und Geschichten» aus dieser Zeit.

[1] Alfred Altherr: Gedenket an eure Lehrer! – Zur Erinnerung an J.G. Schoch. In: Schweizerisches Protestantenblatt (5. Jg., Nr. 51), 23. Dezember 1882.

[2] René Riesen: Probleme der Mittelschule im Kanton Appenzell A.Rh. Bericht über die Förderung der Mittelschulbildung im Kanton Appenzell und den Ausbau der Kantonsschule Trogen. Eigenverlag, Trogen 1967, S. 59.

[3] Ernst Wildi: Brief an T. Bernet vom 12. April 1933. Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, D.027-60-9-02.

[4] Ernst Wildi: Brief an die Kantonsschulkommission vom 6. Dezember 1932. Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, D.027-61-5-01.

[5] KVT-Mitteilungen Nr. 75, Eigenverlag, Trogen 1996, S. 88–90.

Literatur: KVT-Mitteilungen Nr.  74 (1994/95), KVT-Mitteilungen Nr.  75 (1995/96)

Interview Ess: Auszug aus dem Jubiläumsfilm «Menschen und Geschichten – 200 Jahre Kanti Trogen»  von Gerold Ebneter (2021)

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